Münter & Kandinsky (2024) | Film, Trailer, Kritik (2025)

    Münter & Kandinsky (2024) | Film, Trailer, Kritik (1)
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    Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

    Ringen um (Selbst-)Achtung

    „Wir müssen sie nicht immer verstehen, wir müssen sie auch nicht immer mögen. Aber sie soll uns immer berühren“, schreibt der Regisseur Marcus O. Rosenmüller in einer Regienotiz über die Protagonistin seines neuen Werks „Münter & Kandinsky“. Der Film erzählt die Geschichte zweier Menschen, die für die Kunst lebten und einander auf oft zerstörerische Weise liebten: Gabriele Münter (1877-1962) und Wassily Kandinsky (1866-1944). Beide sind bedeutende Namen des Expressionismus – einer Stilrichtung, die Intensität und Individualität betont. Der von Rosenmüller beschriebene Ansatz, in der Figurenzeichnung Ambivalenz und Eigenart zuzulassen, ist daher ein stimmiger Weg, um sich diesen zwei Persönlichkeiten zu nähern.

    In den Auftaktminuten mutet Münter & Kandinsky wie ein historischer Krimi an. Gabriele Münter (Vanessa Loibl) versucht, die Gemälde ihres einstigen Lebenspartners im Keller ihres Hauses zu verstecken. Ein Vertreter der Reichskunstkammer klopft mit Verstärkung an ihre Tür – auf der Suche nach sogenannter „entarteter Kunst“, die sie als „Geliebte des Volksfeindes“ mutmaßlich beherberge. Kurz darauf erfolgt ein Zeitsprung zurück ins gerade beginnende 20. Jahrhundert. Gabriele ist zunächst noch in New York; dann begibt sie sich nach München. Die begrenzten Möglichkeiten, die ihr als Frau zur Verfügung stehen, um sich als Künstlerin ausbilden zu lassen, geben ihr das Gefühl, nicht voranzukommen. Doch dann lernt sie bei einem abendlichen Aktzeichenkurs den lehrenden Wassily Kandinsky (Vladimir Burlakov) kennen.

    Schon in der ersten Begegnung zwischen den beiden wird deutlich, dass sich Gabriele und Wassily stark zueinander hingezogen fühlen. Die gegenseitige Faszination und Irritation sind von Anfang an zu spüren. Da Wassily mit einer Jugendfreundin verheiratet ist, der er sich verpflichtet fühlt, kann diese Liebe nicht sofort richtig ausgelebt werden. Die Inszenierung und das Drehbuch von Alice Brauner erzeugen aus dieser „unstandesgemäßen Beziehung“ keine unnötige Melodramatik; vielmehr zeigt der Film, dass die geschilderte Liebe insbesondere für Gabriele immer wieder einen Kampf mit Konventionen und ein Ringen um (Selbst-)Achtung mit sich bringt.

    In Murnau in Oberbayern baut sich das Paar eine gemeinsame Existenz auf. Zudem gründen die beiden die Neue Künstlervereinigung München mit; später entsteht der Almanach Der Blaue Reiter – die wichtigste Programmschrift für die bildende Kunst des 20. Jahrhunderts. Der Film hakt diese Stationen nicht einfach ab, sondern entwickelt einen Erzählfluss, in dem sich das expressive und zunehmend abstrakte Malen für Gabriele und Wassily als zwingende Konsequenz nachvollziehen lässt. Wenn gemalt wird, setzen Rosenmüller und sein Kameramann Namche Okon unter anderem Detailaufnahmen ein, um dem Pinselstrich zu folgen. Zuweilen wird der kreative Prozess mit sehr dynamischen Bewegungen wie in einem Actionfilm eingefangen. In anderen Momenten werden wiederum die Ruhe und das Nachdenken erfasst – dann steht zum Beispiel Gabriele ganz still in der Landschaft, um eine Verbindung zu ihrem Inneren, ihrer Seele herzustellen.

    Brauner und Rosenmüller schildern, wie eine unterschätzte Frau allmählich aus dem (übergroßen) Schatten eines gefeierten Mannes heraustritt. Auf Pathos wird dabei verzichtet. Durch die besagte Ambivalenz der Rolle und durch die kantige Art, in der Vanessa Loibl die Figur zum Leben erweckt, müssen keine Klischees bedient werden, es muss keine Stilisierung zur makellosen Heldin stattfinden, um zu begreifen, was Gabriele Münter aller Widerstände zum Trotz geleistet und hinterlassen hat.

    Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

    Malen nach Zahlen

    Aufgrund von historischen Lücken, so erklärt uns eine Einblendung zu Beginn des Films, seien einige Teile der Geschichte fiktionalisiert worden. Wenn man diese Verlautbarung ernst nehmen würde, dann müssten dies enorme Lücken sein, dann hätte die ganze Kunstgeschichtsschreibung versagt. Denn es ist so offensichtlich, wie in „Münter & Kandinsky“ fiktionalisiert wird — auf der Ebene von Figurencharakterisierung, von Dramaturgie, von Dialogen, gar von Musikeinsatz.

    Gabriele „Ella“ Münter ist jung und will Malerin werden. Punkt. Sie hat dieses Ziel, weil sie jung ist – so will uns der Film glauben machen – und weil sie daran glaubt, dass Frauen das Recht haben, für ihre Kunst anerkannt zu werden. Schon in den ersten Szenen erleben wir mit ihr eine Figur, die vom Drehbuch (Alice Brauner) bis zur Inszenierung (Marcus O. Rosenmüller) und Darstellung (Vanessa Loibl) das Heutige in die damalige Welt hineinpresst, was schonmal von vornherein schlecht funktioniert. Dabei wirkt der Drang zur Bildenden Kunst immer wie von außen aufgesetzt, nicht als innere Vision, nicht als eigener Wunsch, weil Münter von Buch und Regie nie wirklich ein Begriff ihrer Kunst, ihrer Vision eingeschrieben wird.

    Den Eindruck hat man im Übrigen auch bei Wassily Kandinsky, in dem Münter schließlich einen Dozenten findet und der in Schlagworten daherredet, Natur, Himmel und Farben wirken zu lassen, eine eigene Welt zu erfinden, keine Grenzen anzuerkennen. Es hätte hier sicherlich geholfen, wenn der Film mal ein paar der Malereien gezeigt hätte oder das, was Münter sieht und was sie auf Leinwand bringt, wenn er einen hätte erfahren lassen, wie es in ihrem Inneren aussieht. Anscheinend ist das Kunstfachverständnis der Filmemacher*innen hier nicht so groß, dass eine wirkliche Verständigung aus Darstellung, Dargestelltem, Thema und Publikum erreicht wird – ganz anders als in Die Akademie von Camilla Guttner, der ebenfalls auf dem Filmfest München 2024 seine Premiere erlebte und im Rahmen einer Coming-of-Age-Geschichte sehr tiefgehend vom Werden der Kunst erzählt.

    Stattdessen bietet Münter & Kandinsky netten Pianojazz auf dem Soundtrack, wechselweise ein nervendes Saxophon, das auch erklingt bei einer kitschigen Liebesszene am Bootssteg, und zwar, um das Klischeefass vollends zum Überlaufen zu bringen. So bleiben vom Film die Landschaftsaufnahmen im Gedächtnis, die Kameramann Namche Okon tatsächlich schön rüberbringt. Aber vor allem bleiben öde Dialoge, die sich tatsächlich teilweise wortgleich in Münters Wikipedia-Eintrag wiederfinden, ein paar Russen, die genauso sprechen, genauso aussehen, genauso agieren, wie es Russen im Film halt so tun (außer Kandinsky der Malerkollege Alexej von Jawlensky), und ein Blick von außen auf die Künstlerkreise, die sich in den 1910ern in Murnau versammelten, schließlich den Blauen Reiter gründeten und damit die Moderne in die deutsche Kunst brachten. Dass dumpfe Dialekt-Bayern vom Film als üble Polterer gegen alle Neuerungen in der Malerei dargestellt werden, versteht sich ja fast schon von selbst.

    Es gibt nur eine Szene, in der der Film mit Montage, Lichtdramaturgie, Kamera tatsächlich ein Gefühl dafür herzustellen vermag, aus welchen inneren Beweggründen diese Kunst überhaupt entstehen konnte. Eine Kunst, die vom Gegenstand weggeht, die Farben, Konturen, Flächen enthält, um die eigene innere Welt zum Ausdruck zu bringen, um Sinneseindrücke auf die Leinwand zu bannen, um eine spirituelle Ebene in die Kunst einzubringen (dies sind im übrigen keine kunsthistorischen Einschätzungen, sondern Zitate aus den drögen Filmdialogen, die uns das alles zu erklären versuchen).
    In besagter Szene besucht der Künstlerkreis ein Konzert von Arnold Schönberg, der am Flügel das ausdrückt, was die Maler auf ihren Bildern ausdrücken wollen, und mit fliegender Kamera, Lichtwechseln, mit eingeworfenen Szenen von der Entstehung eines Gemäldes erhält der Zuschauer hier erstmals ein Gefühl dafür, wie Kunst entsteht.

    Nur: Leider geht es dabei im Film nicht um Münter, sondern um Kandinsky, sodass das eigentliche behauptete Thema des Films von ihm selbst wieder zerstört wird. Münter soll ja als Künstlerin zu ihrem Recht kommen, sie ist der Mittelpunkt, von ihr wird erzählt, und Kandinsky ist zwar ihr Lehrer, ihr Liebhaber, vor allem aber der, der dann ihre Liebe schmählich verrät. Ihm wird in dieser Szene ein Denkmal gesetzt. Wie gegen Ende denn auch Münter, und das ist sicherlich ein großes Versehen des Films, in qualvollem Liebeskummer versinkt, der sich freilich in der Darstellung einer hysterischen Frau erschöpft, die vor Wut das Zimmer zerstört und sich jahrelang gehen lässt, weil der Mann, an dem sie hing, jetzt eine andere, eine jüngere hat. Diese Darstellung von Münter, die sich im Stereotyp der emotionalen Frau ergeht, die ohne ihren geliebten Mann schlicht nicht leben kann, haben Buch und Regie sicherlich nicht gewollt. Aber sie haben es geschafft, trotzdem ins Fettnäpfchen zu plumpsen.

    Die Leinwand zum Singen bringen – das ist einer der Ratschläge, die Kandinsky seinen Schüler*innen mit auf den Weg gibt. Marcus O. Rosenmüller schafft es gerade mal, ein tiefes, misstönendes Summen zu erzeugen.

    Gesehen auf dem Filmfest München.

    Anmerkung der Redaktion: In der ursprünglichen Version der Kritik wurden die Namen der Drehbuchautorin und einer Figur falsch angegeben. Wir haben die Fehler korrigiert und bitten um Entschuldigung.

    Es ist die bewegende Geschichte einer dramatischen Liebe und zugleich ein Dokument epochaler Kunst: Anfang des 20. Jahrhunderts lebt und malt die gebürtige Berlinerin Gabriele Münter gemeinsam mit ihrer großen Liebe, dem Russen Wassily Kandinsky, im bayerischen Murnau am Staffelsee. Die Provinz wird zum Ausgangspunkt eines künstlerischen Aufbruchs in die Moderne, der Malerei und Kunstverständnis revolutioniert und die lockere Künstlerbewegung Der Blaue Reiter hervorbringt.

    Atmosphärisch dicht zeichnet der Film die Lebens- und Liebesgeschichte von Münter und Kandinsky nach: Die junge Malschülerin, die sich in den knapp elf Jahre älteren Lehrer verliebt. Ihr gemeinsames Leben auf Reisen und im Blauen Land, das zur Inspirationsquelle ihrer Malerei wird und sie zu Pionieren ihrer Zeit macht. Ihre künstlerisch produktive, aber privat eher fatale Verbindung, die Münter immer mehr verzweifeln und Kandinsky immer missmutiger werden lässt. (Quelle: Camino Filmverleih)

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